Wahrheit und Barmherzigkeit in der Kirche
Ein kurzer und intensiver Bundestagswahlkampf 2025 hat es deutlich sichtbar gemacht – die Welt ist sich zusehend uneins und Spaltungen allerorts scheinen auf der Tagesordnung zu stehen. In einer Welt, die zunehmend polarisiert ist, suchen viele von uns nach Wegen, wie wir die scheinbar unvereinbaren Gegensätze wieder miteinander in Einklang bringen können.
Auf meinem Weg in die katholische Kirche sind mir da zwei einflussreiche Persönlichkeiten der jüngeren bzw. jüngsten Zeit begegnet, die mir auf unterschiedliche Weise eine Antwort auf diese Frage geboten haben: Papst Benedikt XVI. und Papst Franziskus. Ansatz dieses Blogartikels ist es jedoch gerade nicht, sich damit zu beschäftigen, wie man sich zwischen ihren Ansätzen entscheiden sollte, sondern mich beschäftigt die Frage, wie wir diese unterschiedlichen Perspektiven in einer Weise vereinen können, die sowohl die Wahrheit Christi als auch die Barmherzigkeit der Kirche lebendig hält. Denn möglicherweise lässt sich an diesen beiden Größen aufzeigen, dass unterschiedliche Perspektiven nicht in unwiderlegbaren Widersprüchen und kontraproduktiven Entweder-Oder-Haltungen münden müssen. Möglicherweise führt eine gesunde Balance zwischen Benedikt XVI. und Franziskus zur unveränderlichen Wahrheit Christi in Einklang mit der Barmherzigkeit und Offenheit für die Welt.
Papst Benedikt XVI – Ein unbeweglicher Felsen?
Papst Benedikt XVI. erscheint unermüdlich in seiner Betonung, dass die Wahrheit Christi unveränderlich sei. Für ihn scheint es unerlässlich, dass die Kirche sich nicht von den Strömungen der Zeit verleiten lassen darf und ihre fundamentalen Glaubenswahrheiten nicht relativiert. In einer Welt, in der moralische Normen häufig überdacht oder sogar über Bord geworfen werden, verweist Benedikt XVI. darauf, dass der Glaube der Kirche nicht zur Modeerscheinung mutieren kann und nicht dem Zeitgeist unterliegen darf.
Doch während er unmissverständlich die Unveränderlichkeit der Lehre betont, plädiert auch er für eine Kirche, die sich nicht zu einer starren Institution entwickeln darf. Eine Kirche, die sich nur als „Wächterin der Lehre“ versteht, riskiert es, ihre wahre Berufung zu verfehlen: den lebendigen Glauben in einer sich ständig wandelnden Welt zu bewahren. Es erscheint mir dieser feine Unterschied zwischen treuer Bewahrung und dogmatischer Starrheit, der den Ton für eine dynamische, aber treue Kirche vorgibt.
Papst Franziskus – Die Herausforderung der Liebe!
Papst Franziskus hingegen nimmt mit seiner Betonung der Barmherzigkeit und Offenheit eine andere Perspektive ein. Für ihn ist die Kirche ein Ort, an dem jeder Mensch – unabhängig von seiner Vergangenheit oder seinen Fehlern – willkommen ist. Diese Aufforderung zur Barmherzigkeit scheint für Papst Franziskus keine Verwässerung der Lehre, sondern eine Erinnerung daran zu sein, dass Gott alle Menschen liebt – auch die, die vom Weg abgekommen sind. Franziskus fordert dazu auf, die Türen der Kirche weit zu öffnen und die Barmherzigkeit Gottes in all ihrer Tiefe zu leben. Doch das bedeutet nicht, dass sämtliche, auch moralische Prinzipien aufgegeben werden können, nur um der Gesellschaft zu gefallen. Die Herausforderung besteht darin, den schmalen Grat zu gehen – eine einladende, aber nicht nachgebende Haltung.
Verdeutlichen möchte ich das an dem Dialog über soziale Gerechtigkeit und den Klimawandel. Die Kirche darf und muss sich meines Erachtens für die Armen, die Benachteiligten und die Bewahrung der Schöpfung einsetzen, aber sie darf nicht Gefahr laufen, sich zu einer weltlichen Bewegung zu entwickeln, die ihre spirituelle Mission aus den Augen verliert. Gerade Papst Franziskus fordert uns dazu auf, diese sozialen Themen mit einem klaren christlichen Fokus anzugehen – nicht als politisches Mandat, sondern als Ausdruck des christlichen Auftrags zur Liebe und zur Bewahrung der Erde.
Ein anderes Spannungsfeld, das sowohl Benedikt XVI. als auch Franziskus klar adressieren, ist die Evangelisierung. Benedikt XVI. legte großen Wert auf eine klare, unmissverständliche Verkündigung des Evangeliums. Die Wahrheit von Christus sollte nicht verwässert werden, um sie gesellschaftlich verträglicher zu machen. Gleichzeitig ging er jedoch nie so weit, den Dialog mit der Welt zu verweigern. Die Wahrheit müsse unverkürzt verkündet werden, aber nicht ohne das Herz des Evangeliums: die Liebe.
Franziskus wiederum erinnert immer wieder daran, dass Evangelisierung nicht nur in leeren Worten, sondern auch in Taten münden muss. Die Kirche darf sich nicht darauf beschränken, „nur“ die reine Verkündigung des Evangeliums zu praktizieren, sondern muss in der Praxis die Liebe Gottes leben, indem sie sich für das Wohl der Gesellschaft einsetzt. Ich sehe darin jedoch keine Einladung, sich von der Welt und ihren ideologischen Kämpfen vereinnahmen zu lassen, sondern eine Aufforderung, den christlichen Standpunkt zu vertreten und mit Überzeugung in die Welt zu gehen.
Der letzte und für mich sehr zentrale Punkt, der in der Balance zwischen Benedikt XVI. und Franziskus zu finden ist, ist die Vorstellung von der Kirche als spiritueller Ort und als geistliche Heimat. Benedikt XVI. sprach immer wieder von der Notwendigkeit, die Kirche als Ort der tiefen Spiritualität zu erhalten. Die Kirche soll den Menschen Trost und Orientierung bieten, Gebet und Sakramente, aber ohne sich zu sehr in politische oder gesellschaftliche Diskussionen zu verlieren. Doch auch er betonte, dass die Kirche sich nicht isolieren darf, sondern dass sie immer wieder auf die Nöte der Zeit eingehen muss.
Franziskus hingegen postuliert eine Kirche, die als eine lebendige Gemeinschaft zu sehen ist, die die Welt natürlich nicht ignoriert. Aber auch er warnt davor, dass die Kirche ihre wahre Identität nicht verlieren darf, indem sie sich zu sehr von der Welt bestimmen lässt. Die Herausforderung liegt für mich darin, in der Kirche ein Zuhause zu finden, das sowohl geistlich tief verankert als auch für den modernen Menschen verständlich bleibt.
Natürlich gibt es keine einfache Antwort auf die Frage, wie diese scheinbar unterschiedlichen Perspektiven miteinander in Einklang gebracht werden können. Und die Spaltung & Verhärtung innerhalb der Kirche sprechen dafür ihre ganz eigene Sprache. Doch eins ist für mich sehr deutlich: Es ist genau diese Balance, die jeden Tag neu definiert und neu gestaltet werden muss – im Dialog! Und nicht in der Abgrenzung oder Herabsetzung! Das gilt sowohl für die Kirche, in unserem gesellschaftspolitischen Alltag als auch unserem eigenen Leben. Eine mehr lösungsorientierte und weniger problemfokussierte Auseinandersetzung scheinbar gegensätzlicher Positionen, könnte dazu beitragen, den Herausforderungen der Gegenwart mit einer fundierten Verankerung in der Vergangenheit bzw. Bewährtem zu begegnen.
Um aus auf den Punkt zu bringen: Man kann sich für soziale Gerechtigkeit einsetzen, aber ohne in eine rein politische NGO-Rolle zu verfallen. Man kann sich für Klimaschutz einsetzten zur Bewahrung der Schöpfung, aber ohne marxistische Ideologien und Panikmache. Eine Kirche soll & muss für soziale Anliegen eintreten, aber aus einer christlichen Perspektive heraus und nicht als weltliche Bewegung.
Denn eines haben beide Perspektiven, die von Benedikt XVI und die von Franziskus eindeutig gemeinsam: Jesus Christus steht im Mittelpunkt, nicht politische Ideologien. STAY ON THE ROCK!
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