Es sieht düster aus
Eine Hiobsbotschaft jagt die nächste. Pandemien kennen wir mittlerweile nicht mehr nur aus dem Geschichtsbuch, sondern aus eigener Erfahrung. Kriege finden nicht mehr in entfernten Teilen der Welt statt, sondern auch bei uns in Europa. Und auch die wirtschaftliche Perspektive eines unbegrenzten Wachstums hat sich eingetrübt. Hinzu kommen viele weitere Faktoren, die verunsichern und nicht gerade auf rosige Zukunftsaussichten hindeuten. Selbst unverbesserliche Optimisten mögen hier Zweifel bekommen. Also: was tun? Den Kopf in den Sand stecken? Die Bettdecke über den Kopf ziehen, bis bessere Zeiten kommen?
Eine der drei christlichen Grundtugenden – neben Glaube und Liebe – ist die Hoffnung. Laut Wikipedia ist Hoffnung „eine zuversichtliche innerliche Ausrichtung, gepaart mit einer positiven Erwartungshaltung, dass etwas Wünschenswertes eintreten wird, ohne dass wirkliche Gewissheit darüber besteht.“ Ein bisschen hört sich das nun doch nach „unverbesserlichem Optimismus“ an. Etwas, das die meisten vielleicht dann doch eher belächeln, als wirklich ernst nehmen. Wahrscheinlich kennt jeder von uns solche Menschen, die ziemlich blauäugig durchs Leben gehen – und die manchmal auch gehörig auf die Fresse fliegen! Hoffnung also nur etwas für Träumer?
Hoffnung ist das übelste Übel
Friedrich Nietzsche hat die Hoffnung als das „übelste der Übel“ bezeichnet – weil sie die Qual der Menschen nur unnötig verlängert, anstatt sie mit der kruden Realität zu konfrontieren. Die Hoffnung, so Nietzsche, gaukelt dem Menschen etwas vor, anstatt ihn dazu anzutreiben, sich selbst um die Verbesserung seines Zustandes zu kümmern. Ganz unrecht hat Nietzsche mit seiner Diagnose wohl nicht. Eine Hoffnung nach dem Motto „Irgendwann wird schon alles wieder gut!“ oder „Der liebe Gott wird’s schon richten!“ läuft Gefahr, damit den Gedanken zu verbinden „…dann kann ich mich ja bequem zurücklehnen!“
Hoffnung und Optimismus sind nicht dasselbe. Optimisten neigen dazu, eine positive Grundhaltung gegenüber der Zukunft einzunehmen, unabhängig von den realen Umständen. Hoffen meint jedoch mehr als ein positives Gefühl oder ein selbstmotivierendes Wunschdenken. Hoffnung beginnt dort, wo der Optimismus seine Grenze erreicht. Sie blendet das erfahrene Übel und die aktuellen Schwierigkeiten gerade nicht aus, sondern bezieht sie im Gegenteil produktiv mit ein und blickt doch gleichzeitig darüber hinaus.
Wer hofft, ignoriert nicht die Wirklichkeit, aber er findet sich auch nicht mit ihrer scheinbaren Unabänderlichkeit ab. Vielmehr rechnet er auch angesichts der Hoffnungslosigkeit der Wirklichkeit noch mit Möglichkeiten, die den wahrnehmbaren Horizont übersteigen. Zugleich ist er sich bewusst, dass die Erfüllung seiner Hoffnung nicht oder zumindest nicht ausschließlich in seinen Händen liegt. Selbst dort, wo es keinen Grund (mehr) gibt, noch mit dem Guten zu rechnen, setzt die Hoffnung auf dessen Möglichkeit. Aber eben als eine Möglichkeit, die nicht aus mir selbst heraus kommt, sondern von woanders.
Hoffnung kann sich jedoch nicht darin erschöpfen, meine Sehnsüchte einfach auf Gott oder sonst eine höhere Macht zu projizieren, um meine Wirklichkeit dadurch erträglicher zu machen, noch kann sie in einer Flucht aus dieser Welt ins Jenseits bestehen.
Hoffnung ist keine Projektion der eigenen Sehnsüchte
Der Theologe Joachim Negel schreibt:
„Wer seinen Blick nicht mehr in das Licht der Sterne zu tauchen weiß, dessen Gassen werden dunkel und leer, der muss sie mit dem Funzellicht seiner selbsterdachten Ideale behängen und beleuchten. Aber auch das Umgekehrte gilt: Wer seinen Blick in den Sternen verliert, dem wird die Welt zur Chimäre, der findet sich nicht nur in ihren Gassen nicht mehr zurecht, dem wird zuguterletzt auch das Sternenlicht schwinden, weil dieses für uns nur im Reflex der Pfützen auf den Gassen sichtbar wird.“ (Joachim Negel, Bange Erwartung.
Die Angst der Letzten Dinge, in: IKaZ 52 (2023) 152–164, hier: 160 f.)
Zugleich weist die christliche Hoffnung weit über die Möglichkeiten menschlichen Denkens und Handelns hinaus. Von Gott wird erhofft, was über das rein menschliche Vermögen hinausgeht. Da, wo Gerechtigkeit allenfalls in Ansätzen verwirklicht werden kann, Frieden allzu oft fragil bleibt und auch Versöhnung in vielen Fällen dem Scheitern unterworfen ist, rechnet die Hoffnung damit, dass Gerechtigkeit, Frieden und Versöhnung möglich werden können. Papst Benedikt XVI. hat in seiner Enzyklika „Spe salvi“ die Frage der Gerechtigkeit als „das eigentliche, jedenfalls das stärkste Argument für den Glauben an das ewige Leben“ bezeichnet. Die menschliche Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Versöhnung findet einen Widerhall in der Hoffnung, dass Gott schließlich alles zum Guten wenden wird. Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass die Erfüllung dieser Sehnsucht in einer Weise geschehen wird, die alle menschlichen Vorstellungen bei weitem übersteigt.
Wird die Hoffnung ernst genommen, dass Gott alles Bruchstückhafte dieser Welt vollenden wird, dann kann sie nicht ohne konkrete Auswirkungen bleiben. Auch wenn ich das für die Zukunft erhoffte nicht selbst verwirklichen kann, so vermag es doch als Erhofftes schon meine Gegenwart verändern, weil es die unveränderlich scheinenden Zustände einem Vorbehalt unterstellt: „Denn gibt es das Versprechen eines Gottes, nichts unversucht sein zu lassen, die Tränen abzuwischen und am Ende der Tage zu vermitteln, so durchdringt dies als geglaubtes Versprechen und damit als Glaube an die Gerechtigkeit suchende Macht Gottes bereits das gegenwärtige Bewusstsein.“ (Magnus Striet, Hoffen – warum?, Eschatologische Erwägungen im Horizont unbedingten Verstehens, in: Karsten KREUTZER u. a. (Hgg.), Gefährdung oder Verheißung? Von Gott reden unter den Bedingungen der Moderne, Mainz 2007, 123–140, hier: 131).
Die Verheißung Gottes motiviert dazu, sich schon hier und jetzt für Gerechtigkeit und Versöhnung einzusetzen – im Vertrauen darauf, dass Gott all das vollenden wird, was menschliche Möglichkeiten übersteigt.
Die Hoffnung, dass Jesus Christus einst „alles und in allen“ (Kolosser 3,11) sein wird, kann nicht ohne Konsequenzen bleiben und beinhaltet – wenn diese Hoffnung wirklich ernst genommen wird – einen ethischen Imperativ.
Oder mit den Worten des amerikanischen Jesuiten John R. Sachs: „we must truly live what we hope for“.