Die Prophetinnen im Alten Testament - Mirjam

Kirsten Mulach

Prophetinnen Gottes

Gibt man auf Google den Begriff „Prophetin“ ein, werden ca. 2.740.000 Ergebnisse angezeigt, allerdings beziehen sich nur wenige davon auf die Prophetinnen in der Bibel. Gibt man hingegen das männliche Pendant „Prophet“ ein, stößt man auf ca. 37.600.000 Ergebnisse. Das scheint ernüchternd und fügt sich nahtlos in den Kanon ein, dass Frauen in der Bibel ob der männlichen Vorherrschaft und Dominanz ausgelöscht, unerwähnt oder gar unbedeutend waren. Doch ist das so? Lässt sich aus der offensichtlich quantitativen Überzahl eine qualitative Ableitung herleiten?

Je mehr man in die Thematik eintaucht, desto deutlicher zeigt sich, wie wichtig Prophetinnen waren und welch hohen Stellenwert sie innerhalb der Bibel haben, der es unmöglich macht, sie einfach beiseite zu schieben. Im Gegenteil, es ist mehr als Angebracht und zudem lehrreich, sich mit ihnen zu beschäftigen. So zählen z.B. das Mirjamlied (2. Mose 15,20) und das Deboralied (Richter 5) zu den ältesten Texten der Bibel.

Der Begriff „Prophetie“ geht auf das altgriechische „Propheteia“ zurück, was wörtlich übersetzt soviel wie „Fürsprecher“ oder „für jemanden sprechen“ bedeutet . Im klassischen Sinne wird der Begriff jedoch eher als „die Gabe, den göttlichen Willen auszulegen“, verstanden. Im neuen Testament und auch im heutigen, modernen Sprachgebrauch wird das Wort „Prophetie“ und besonders auch die „Prophezeiung“ oftmals als „Vorhersage“ oder „in die Zukunft sehen“ verstanden – eine Auslegung, die dem klassischen Verständnis nicht zuzuordnen ist.

„Die Bibel ist frauenfeindlich. Und die Kirche ist es auch.“ – das waren so ziemlich die ersten Vorwürfe, denen ich nach meiner Konvertierung aus meinem privaten Umfeld begegnet bin. Und tatsächlich, hatte ich mich bis dato nicht viel mit den Frauen meines neuen Glaubens beschäftigt. Ich hatte mal etwas vom Mirjamlied gehört, wusste, dass sie im Alten Testament vorkommt und etwas mit Moses zu tun hat. Sonst allerdings nichts. Ich erinnere mich, dass ich zunächst begonnen hatte, sie zu googeln! Aber erst ein Gespräch mit meiner Tochter vor kurzem, hat dieses Thema wieder in mir aufploppen lassen. Diesmal mit der festen Absicht, mehr über Mirjam und all die anderen wunderbaren Frauen der Heiligen Schrift herauszufinden – und hatte keine Ahnung, was sich daraus alles ergeben würde…“  

Kirsten Mulach

Mirjams Tanz. Miniatur aus dem bulgarischen Tomić-Psalter um 1360. Mirjam wird mit einer Rahmentrommel (tof) dargestellt, dem Vorbild für die von orientalischen Frauen gespielte daira. Ihre tanzenden Begleiterinnen schlagen hier Paarbecken.

Prophetinnen im Alten Testament

Fast alle Prophetenbücher besitzen männliche Namen, was zu der Annahme führte, dass sie auch von selbigen Männern verfasst wurden, so argumentiert zumindest Cyrus Ingerson Scofield in der Scofield Bibel (Ausgabe von 1967, S. 16, Z. 1-5)

Doch es scheint als erwiesen, dass viele Bücher der Bibel über einen sehr langen Zeitraum hinweg entstanden und verfasst wurden, so dass es einem Autoren nicht möglich gewesen wäre, ein Buch alleinig zu schreiben. Man nimmt an, dass im Buch Jesaja, Jesaja selbst lediglich die Kapitel 1-39 verfasst hat. Hingegen werden In der Bibel auch immer wieder Frauen erwähnt, die Texte geschrieben haben sollen, so zum Beispiel Ester oder Isebel (1. Könige 21,8 ; Est 9,29)

 Es gibt mehrere Bibelstellen, in denen von Prophetinnen aufgeführt sind, jedoch sind nicht alle namentlich erwähnt. z.B. die Prophetin zu der Jesaja geht (Jes 8,3), prophetisch redende Töchter (Hez, 13,17), Prophetin von En-Dor (1 Sam 28,3) oder diensttuende Frauen am Offenbarungszelt ( 2. Mose 38,8), von denen anzunehmen ist, dass sie Prophetinnen waren.

Die erste Prophetin, die namentlich genannt wird, ist die Prophetin Mirjam.

Obwohl sie mehrfach im Buch Moses auftaucht, wird sie nur einmal explizit als Prophetin erwähnt (2. Mose 15,20).

Aber wer war Mirjam? Und wodurch erlangte sie Bekanntheit?

Aaron, Miriam und Moses, eine Illustration aus „Bibelbilder und was sie uns lehren: Enthält 400 Illustrationen aus dem Alten und Neuen Testament“ von Charles Foster aus dem Jahr 1897

„Da sagte seine Schwester zur Tochter des Pharao: Soll ich zu den Hebräerinnen gehen und dir eine Amme rufen, damit sie dir das Kind stillt?“

                  2. Mose 2, 7

Mirjam – Prophetin, Musikern und weibliche Führungskraft

Mirjam war die Schwester von Moses und Aaron, die Tochter von Amran (einem der israelitischen Führer) und Jochebed. Soweit die einfache Antwort.

Aber Mirjam hat noch viel mehr zu bieten. Sie war auch die erste Frau, die als Prophetin beschrieben wurde, eine Anführerin von Frauen und eine Musikerin. Gleichzeitig ist sie ein lehrreiches Beispiel dafür, wie schnell man aus dem Willen Gottes ausscheren und seiner eigenen Überzeugung folgen kann.

Mirjam wird in ihrem Leben zu verschiedenen Zeiten von Gott eingesetzt. Sie ist für mich ein großartiges Beispiel dafür, wie Gott Frauen jeden Alters und jeder Lebenslage nutzen kann, wie er uns zur Rechenschaft zieht, für das, was wir mit der Verantwortung tun, die er uns übertragen hat – und wie er uns Gnade erweist und wieder aufrichtet, wenn wir Fehler machen.

 

Ein junges Mädchen mit dem Herzen einer Dienerin

Als Mirjam das erste Mal namentlich erwähnt wird, ist sie ein junges Mädchen, das ausgesandt wurde, um auf ihren kleinen Bruder Moses aufzupassen, der in einer Arche (Korb) aus Schilf in den Fluss gesetzt wurde. Die Tochter des Pharaos findet das Baby und möchte es für sich behalten. Dann kommt Mirjam herüber und bietet an, eine hebräische Mutter zu finden, die das Baby für sie stillen kann. Natürlich bringt sie ihren kleinen Bruder zu ihrer eigenen Mutter. So wird Mirjam von Gott eingesetzt, um das Leben ihres kleinen Bruders zu bewahren, und sie ist selbst noch ein junges Mädchen. Auffällig ist das junge Lebensalter von Mirjam als sie erstmalig mit einem Auftrag Gottes betraut wurde…. Auch der Apostel Paulus ermutigte Timotheus: „Niemand verachte deine Jugend. Sei den Gläubigen ein Vorbild im Wort, im Lebenswandel, in der Liebe, im Glauben, in der Reinheit“ (1. Timotheus 4:12).

Eine Musikerin mit Führungsqualitäten

Viele Jahre vergehen, bevor Mirjam wieder auf der Bildfläche erscheint. Ihr kleiner Bruder Moses ist erwachsen geworden und in die Wüste gegangen, wo Gott ihn an einen Ort der Demut und Sanftmut gebracht hatte, der ihn darauf vorbereiten sollte, ein großer Anführer zu werden. Nun ist Moses, von Gott geführt, nach Ägypten zurückgekehrt, um die Hebräer von der Herrschaft des Pharaos zu befreien. Währenddessen haben Moses‘ Geschwister Mirjam und Aaron weiterhin in Ägypten gelebt und als Sklaven gedient. Doch nun werden auch sie zu Hauptakteuren bei der Befreiung der Kinder Israels aus der Knechtschaft. Moses hatte sich geweigert, dem Pharao allein gegenüberzutreten, also stellte Gott ihm seinen Bruder Aaron an die Seite, der als sein Sprecher fungieren sollte.

Musik war für die Hebräer sehr wichtig. Sie wurde zur Anbetung, zur Freude und zur Unterweisung verwendet. In der Nacht, in der die Hebräer aus Ägypten flohen, überquerten sie auf wundersame Weise das Rote Meer, als Gott das Wasser teilte und es ihnen ermöglichte, auf trockenem Land hinüberzugehen. Die ägyptische Armee war ihnen dicht auf den Fersen, aber Gott stoppte die Armee und ließ sie nicht an sein Volk herankommen. Nachdem alle Kinder Gottes sicher den Fluss überquert hatten, erlaubte Gott der Armee des Pharaos, ihnen ins Flussbett zu folgen. 

Miriams Lied, von John Edward Poynter (Die Bibel und ihre Geschichte, 1910)

Als alle Streitwagen im Fluss waren, wurde das trockene Bett plötzlich wieder schlammig und die Räder blieben stecken. Dann stürzten die gewaltigen Wasserwände auf sie herab und jeder einzelne Soldat wurde getötet. Die Hebräer waren gerettet, denn Gott hatte die Schlacht für sie geschlagen. Ein siegreiches Loblied erzählt diese Geschichte und sollte als Mirjamlied in die Geschichte eingehen. Über Generationen hinweg wurde es gesungen, um die Geschichte an die Kinder der Kinder weiterzugeben – und es ist das erste Mal, dass Mirjam als Erwachsene in Erscheinung tritt.

  1. Moses 15:20-21 „Und Mirjam, die Prophetin, die Schwester Aarons, nahm eine Pauke in die Hand, und alle Frauen zogen ihr nach mit Pauken und Tanz. Und Miriam antwortete ihnen: Singt dem HERRN, denn er hat einen herrlichen Sieg errungen; das Pferd und seinen Reiter hat er ins Meer geworfen.“

 

Mirjam ist eine talentierte Musikerin. Hier singt sie und spielt ein Instrument und leitet andere Frauen in Musik und Tanz an. Tatsächlich hat sie starke Führungsqualitäten.

Eine Prophetin mit einer sturköpfigen Ader

Mirjam wird in 2. Mose als Prophetin bezeichnet, und 4. Mose 2 deutet an, dass der Herr sowohl durch Aaron als auch durch Mirjam prophetisch gesprochen habe. Dies war also offensichtlich eine ganz besondere Familie, da alle drei Kinder von Gott in großem Maße gebraucht wurden. Mirjam hat jedoch ein Problem mit ihrer Haltung gegenüber ihrer Gabe und wofür sie bald getadelt werden sollte.

Mirjam: Mosaik in der Benediktinerabtei Dormitio auf dem Zionsberg in Jerusalem von Radbod Commandeur (1890-1955).

In 4.Mose sprechen sich sowohl Mirjam als auch Aaron gegen Moses‘ Führung aus. Mose hatte sich nämlich bei Gott beschwert, dass die Bürde, all diese Menschen zu führen, zu viel für ihn sei, und Gott befahl ihm, siebzig Männer aus den Ältesten Israels auszuwählen, und Gott würde seinen Geist auf sie ausgießen, damit sie Mose helfen könnten, das Volk zu richten (4. Mose 11:14-17). Sehr wahrscheinlich waren Mirjam und Aaron in ihren Gefühlen verletzt, weil sie bei der Auswahl übergangen worden waren, und stellten Moses‘ Autorität in Frage, indem sie sagten: „Hat Gott nicht auch durch uns gesprochen?“

Gott hörte, was sie sagten, und rief sie alle drei zu sich. Als alle drei vor Gott standen, forderte Gott Mirjam und Aaron auf, vorzutreten. Das taten sie. Gott sprach direkt zu ihnen und sagte sinngemäß: „Wenn ich euch eine Botschaft überbringen möchte, werde ich im Traum oder in einer Vision zu euch kommen. Aber Moses ist nicht so, der in meinem ganzen Haus treu ist. Mit ihm werde ich von Angesicht zu Angesicht sprechen, sogar deutlich, und nicht in einer Vision. Warum also wagtet ihr es, so dreist gegen ihn zu sprechen?“ Dann verschwand Gott und Mirjam blieb ganz offensichtlich an Lepra erkrankt zurück. Sie musste für sieben Tage aus dem Lager geschickt werden, während dieser Zeit blieb die ganze Nation dort und wartete, bis sie wieder reisebereit war.

Das wirft möglicherweise die Frage auf: „Warum wurde Mirjam und nicht Aaron gerichtet?“ Eine Theorie besagt, dass sie die Älteste und die Freimütigste war und daher die größere Verantwortung trug. Ich teile diese These. Schließlich wird Mirjam in Vers 1 als erste genannt, was mich zu der Annahme veranlasst, dass sie die Anstifterin war. Aaron ist, soweit wir aus anderen Passagen wissen, kein großer Anführer. Er ist eher ein Mitläufer, ein Publikumsliebling. Mirjam hingegen hat immer große Führungsqualitäten bewiesen. Dies deutet auch darauf hin, dass viele Frauen (und möglicherweise auch Männer) zu ihr aufblickten und dass man sich deshalb auch mit ihrer Rebellion auseinandersetzen musste.

Gott erinnert sich nicht an Mirjams Fehler, sondern an ihre Nützlichkeit. Und dasselbe gilt auch für uns. Gott sieht unsere Fehler nicht, stattdessen sieht er in uns Jesu Gewand der Gerechtigkeit.

Eine alte Heilige mit göttlichem Erbe

Obwohl Gott Mirjam bestrafte, zeigte er mit der Bestrafung seine Gnade, denn die Strafe war nicht strenger als nötig. Es gab keine Heilung für Lepra. Viele Leprakranke kehrten nie in die Gesellschaft zurück, sondern starben außerhalb des Lagers einen langsamen und schrecklichen Tod. Mirjam musste diese Schande nicht ertragen, sondern nur eine Woche der Isolation, bevor sie wiederhergestellt wurde. Und sehr wahrscheinlich kehrte sie als geleuterte, sanftmütigere, mildere Mirjam zurück, da sie wie Moses auf die Züchtigung reagiert hatte, die er in der Wüste erdulden musste. Wir hören nichts mehr von ihr, außer dass sie starb und begraben wurde. Gott vergab ihr jedoch offensichtlich und gedachte ihrer Sünden gegen sie nicht mehr, denn später in der Heiligen Schrift wird an sie erinnert:

Micha 6:4 „Denn ich habe dich aus Ägyptenland geführt und aus dem Diensthause erlöst und vor dir her Mose, Aaron und Mirjam gesandt.“

Gott erinnert sich nicht an die Fehler dieser drei Geschwister, sondern an ihre Nützlichkeit. Und dasselbe gilt auch für uns. Gott sieht unsere Fehler nicht, stattdessen sieht er in uns Jesu Gewand der Gerechtigkeit.

Jesaja 61:10 „Ich freue mich sehr im HERRN, meine Seele soll fröhlich sein in meinem Gott; denn er hat mich bekleidet mit den Kleidern des Heils, er hat mich gehüllt mit dem Gewand der Gerechtigkeit, wie ein Bräutigam sich mit Schmuck schmückt und wie eine Braut sich mit ihrem Geschmeide schmückt.“