Toleranz ist die Stärke, das Anderssein zu akzeptieren – Gedanken aus einer christlichen Perspektive

Jan Wilhelm Witte

Sie verlangt etwas ab, ja sie fordert gerade zu. Sie strengt an, letztlich bringt sie allerdings etwas, nämlich gutes Zusammenleben. Toleranz, die Stärke, Anderssein zu akzeptieren. Stärke kann trainiert werden. Das gilt für den Körper wie für den Geist und auch für die Seele. Gerade an der Toleranz wird das deutlich.

Toleranz ist ein Begriff, der oft gebraucht wird. In gesellschaftlichen Zusammenhängen ganz unterschiedlicher Art ist das der Fall. Aber was bedeutet er wirklich? Wie kann er – auch ganz persönlich gedacht werden?

 

Was bedeutet Toleranz für mich?

Für mich bedeutet Toleranz, dass ich in der Lage bin, andere Ansichten, Lebensweisen und Überzeugungen vor allem zu respektieren, vielleicht sogar zu akzeptieren, selbst wenn sie so ganz anders sind als meine eigenen Überzeugungen. Mir geht es darum, Unterschiede auszuhalten und mit ihnen zu leben, ohne dabei meine eigenen Überzeugungen aufzugeben.

Dabei ist Toleranz mehr als das lediglich passive Ertragen von Unterschieden. Es ist aktives Engagement gefordert, in dem ich mich mit meinen eigenen Überzeugungen auseinandersetze und sie kenne und verstehe, warum ich sie habe. Nur so, in meinem eigenen Gedankenraum kann ich anderen Menschen den Raum geben, den sie brauchen, um ihre eigenen Überzeugungen zu leben.

Toleranz ist mehr als das lediglich passive Ertragen von Unterschieden.“  Jan Wilhelm Witte

Mein eigener Standpunkt und Toleranz

Toleranz kann nur dann echt sein, wenn ich einen klaren Standpunkt habe. Ich persönlich habe meinen Standpunkt, der mich trägt und leitet. Dieser liegt für mich zuerst in meinen Glauben, also meiner religiösen Überzeugung, dann in meinen politischen Überzeugungen und letztlich auch in meinem Lebensstil.

In meinem Leben steht mein Glaube als katholischer Christ im Mittelpunkt. Ich glaube an die Lehre Jesu und vertraue darauf, dass sie das Beste für den Menschen will. Nach dieser Lehre und nach diesen Werten versuche ich, mein Leben zu gestalten. Gleichzeitig verstehe ich auch, dass nicht jeder meine Position teilt. Einige Menschen sind Atheisten, Buddhisten, Muslime, Juden oder gehören anderen Glaubensrichtungen an. Andere haben unterschiedliche politische Ansichten oder entscheiden sich für andere Lebensweisen, sei es in der Ernährung oder Partnerschaften und weiteren Bereichen.

Mir ist wichtig, meinen Glauben und meine Überzeugungen in mir fest verankert zu haben. Ich weiß, warum ich diese habe, und damit habe ich eine solide Grundlage, auf der ich stehe. Sie gibt mir die Sicherheit, die ich brauche, um meine Überzeugungen zu vertreten, ohne – hoffentlich – die Überzeugungen anderer Personen herabzusetzen. Toleranz bedeutet also nicht, dass ich meinen Standpunkt aufgebe, sondern dass ich ihn vertrete und gleichzeitig den Standpunkt anderer respektiere.

Toleranz und Freiheit

Toleranz hat also viel mit Freiheit zu tun. Dabei spüre ich, dass meine Freiheit dort endet, wo die Freiheit des anderen beginnt. In der Freiheit geht es also nicht darum, einfach zu tun oder zu lassen, was ich will, ohne Rücksicht auf andere zu nehmen. Gerade auch die Rücksicht auf andere und ein gewisses Taktgefühl anderen gegenüber gehören dazu. Gleichzeitig beanspruche ich allerdings auch den Raum, meine Überzeugungen und meine Lebensweise zu leben und auch vertreten zu können.

Es soll bei diesen Gedanken darum gehen, ständig für ein Gleichgewicht zwischen dem Respektieren der Freiheit anderer und dem Einfordern meiner eigenen Freiheit zu sorgen. Toleranz erfordert, dass ich Rücksicht nehme, aber auch, dass ich für meine eigenen Rechte und Überzeugungen einstehe. So geht es um die Balance, in der verschiedene Lebensweisen nebeneinander existieren können, ohne dass die eine die andere dominiert oder unterdrückt.

Toleranz und christliche Überzeugung

Als Christ glaube ich, dass Toleranz ein wesentlicher Bestandteil unseres Auftrags ist, die Welt zu gestalten. Es ist der Kulturauftrag schlechthin. Schließlich hat Gott den Menschen unterschiedlich geschaffen, mit verschiedenen Meinungen, Überzeugungen, Talenten und Neigungen. Diese Unterschiede sind kein Zufall sondern Teil des Planes Gottes. Sie bereichern unsere Welt und machen sie vielfältig und lebendig.

Es ist unsere Aufgabe, diese Vielfalt zu sehen, zu achten und zu gestalten. Natürlich streben wir juristische Gleichheit an, soziale – also gesellschaftliche – Ungleichheit wird allerdings immer bestehen bleiben, da wir verschiedene Geschlechter haben, unterschiedliche Körper und auch die Intelligenz und Kompetenzen von Menschen unterscheiden sich. Diese Ungleichheit halte ich nicht unbedingt für etwas negatives, sie ist Teil unseres Menschseins. Es geht darum, diese Unterschiede zu respektieren und sie so zu gestalten, dass sie das Zusammenleben fördern. Das ist Kultur und zu dieser haben wir den Auftrag.

Intoleranz hingegen ist das Gegenteil von Kultur. Ich halte sie für barbarisch und zerstörerisch. Sie fördert eben nicht das gute Zusammenleben und die Entwicklung einer Person oder der Gesellschaft.

Toleranz bedeutet nicht, dass wir gleichgültig sind und uns nicht darum kümmern, was andere denken oder wie sie leben. Im Gegenteil. Sie bedeutet, dass wir die gleiche Gültigkeit verschiedener Lebens- und Glaubensentwürfe anerkennen. Dabei ist es wichtig, dass wir – ich wiederhole mich – unseren eigenen Standpunkt kennen und vertreten.

Grenzen der Toleranz

Toleranz hat also auch ihre Grenzen. Wir dürfen nicht tolerant gegenüber Programmen oder auch Personen sein, die das Leben einschränken oder Rechte beschneiden. Wenn jemand versucht, anderen Menschen seine Überzeugungen aufzuzwingen oder ihnen ihre Freiheit zu nehmen, dann haben wir klar Position zu beziehen und uns dagegen zu wehren.

Toleranz kann also nicht bedeuten, alles akzeptieren zu müssen. Es geht auch darum, Grenzen zu erkennen und dafür zu sorgen, dass diese Grenzen respektiert werden. Intoleranz gegenüber der Intoleranz ist notwendig, um die Freiheit und die Rechte aller zu schützen.

Fazit: Toleranz ist ein wichtiger Beitrag für ein gutes Zusammenleben

Wir alle haben die Verantwortung, uns für ein gutes Zusammenleben in einer Welt voller Unterschiede einzusetzen. Diese Unterschiede liegen in Gottes Schöpfungswerk. Sie haben in ihm ihren Ursprung und es ist nicht unsere Aufgabe, dies auszuhebeln. Im Gegenteil: Es ist unser Auftrag, diese Unterschiede zu akzeptieren und mit diesen unser Umfeld – sei es nun kleiner oder größer – zu gestalten.

Toleranz ist nicht lediglich eine Frage des Respekts gegenüber anderen, sondern auch eine Frage der eigenen Überzeugung. Diese gilt es zu bilden, auszubauen, heranreifen zu lassen. Wir müssen wissen, wo wir stehen und bereit sein, unseren Standpunkt zu vertreten. Gleichzeitig müssen wir auch den Standpunkt anderer Personen respektieren und ihnen den Raum geben, den sie brauchen, um ihre eigenen Überzeugungen zu leben.

In einer Welt, die komplex und vielfältig ist und weiter werden wird, ist Toleranz ein wesentlicher Baustein für ein friedliches und respektvolles Zusammenleben. Sie ist eine wirkliche Herausforderung und genau so auch eine große Chance, unsere Gesellschaft zu bereichern und zu stärken. Wir sollten diese Herausforderung annehmen und gemeinsam an einer Welt arbeiten, in der Unterschiede nicht trennen, sondern verbinden.