Was die „Woke-Kultur“ hinterlässt und wie wir als Gesellschaft weitermachen können
In den letzten Jahren habe ich die sogenannte Woke-Bewegung intensiv beobachtet. Sie hat für vieles gesorgt: hitzige Debatten, weitreichende Veränderungen in Politik, Wirtschaft und Kultur, aber auch für Polarisierung und Missverständnisse. Jetzt scheint diese Bewegung an Kraft zu verlieren. Es lohnt sich, einen Schritt zurückzutreten, um zu verstehen, was diese Zeit für uns bedeutet – und wie wir daraus lernen können.
Was war die Woke-Bewegung?
„Woke“ kommt aus dem Englischen und bedeutet so viel wie „aufgeweckt“ oder „bewusst“. Ursprünglich ein Begriff aus der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung, beschrieb er die Sensibilität für soziale Ungerechtigkeit und Diskriminierung. In den letzten Jahrzehnten entwickelte sich daraus eine breitere Bewegung, die verschiedene Anliegen vereinte: Feminismus, Antirassismus, Rechte von sexuellen Minderheiten und mehr.
Viele dieser Anliegen sind meiner Meinung nach berechtigt. Es ist wichtig, dass wir uns als Gesellschaft gegen Ungerechtigkeit stemmen. Doch irgendwann kippte die Bewegung ins Extreme. Was als Kampf für Gleichheit begann, führte zu neuen Formen von Spaltung, Bevormundung und sogar Intoleranz.
Das Ende der Wokeness: Zeichen und Ursachen
In den letzten Jahren sehe ich immer mehr Anzeichen dafür, dass die Woke-Welle abebbt. Politiker wie Donald Trump in den USA oder neue konservative Regierungen in Europa gehen bewusst auf Konfrontation zur Woke-Ideologie. Unternehmen ziehen sich aus Diversity-Programmen zurück, nachdem sie feststellen mussten, dass ihre Kunden diese Ausrichtung nicht mittragen. Auch prominente Vertreter der Bewegung, wie Alexandria Ocasio-Cortez, verzichten zunehmend auf symbolische Gesten wie die Angabe von Pronomen.
Warum dieser Rückgang? Ein Grund ist für mich die zunehmende Kritik an den Folgen der Wokeness. Viele Menschen fühlten sich bevormundet, wenn Sprache umgekrempelt wurde oder tradierte Werte infrage gestellt wurden. Unternehmen wie Disney oder Budweiser verloren Kunden, weil sie ihre Zielgruppen mit zu aggressivem Aktivismus verprellten. Die Gesellschaft, so scheint es mir, möchte eine Balance zwischen Fortschritt und Bewährtem finden – und kein Extrem.
Die Wunden, die geblieben sind
Wokeness hat Spuren hinterlassen. Diese sind nicht nur materiell, wie die Milliardenverluste mancher Firmen, sondern auch gesellschaftlich. Die Polarisierung hat zugenommen. Familien, Freundeskreise und ganze Gesellschaften haben sich in Lager gespalten. Ich habe oft erlebt, wie Debatten von einem Tonfall der Anklage und des Misstrauens geprägt waren.
Zudem hat die Woke-Bewegung Themen aufgegriffen, die mit Bedacht behandelt werden müssen. Der Umgang mit Geschlechtsidentitäten ist ein solches Beispiel. Viele junge Menschen, die vorschnell in hormonelle oder chirurgische Behandlungen getrieben wurden, berichten später von Reue und körperlichen wie seelischen Schmerzen. Hier hat sich für mich gezeigt, dass ideologischer Eifer nicht der richtige Weg ist, um mit komplexen individuellen Herausforderungen umzugehen.
Ein weiteres Beispiel ist die Haltung zur freien Meinungsäußerung. Viele Kulturgüter wurden überarbeitet oder zensiert, weil sie nicht mehr in das woken Weltbild passten. Doch wer entscheidet darüber, welche Meinungen erlaubt sind und welche nicht? Diese Frage bleibt schwierig und bedarf meiner Meinung nach einer sorgfältigen Abwägung.
Bei aller berechtigten Kritik an der Woke-Bewegung sollten wir nicht den Fehler machen, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Die ursprünglichen Anliegen – Gerechtigkeit, Toleranz und die Anerkennung der Würde jedes Einzelnen – sind wichtige Werte, die in unserer Gesellschaft Bestand haben müssen.
Wie kommen wir zu einem ausgewogeneren Umgang?
Als katholischer Christ in unserer Gesellschaft bin ich der Meinung, dass jeder Mensch eine nicht zur Disposition stehende Würde besitzt. Dies ist schließlich auch ein Prinzip unserer Rechts- und Gesellschaftsordnung, die – unter anderem – wesentlich durch die katholische Soziallehre geprägt ist. Vor allem bin ich auch dieser Meinung, weil der Mensch nach Gottes Ebenbild geschaffen ist und ihm somit diese Würde zusteht. Die Woke-Bewegung hat diesen Ansatz in Teilen aufgenommen, allerdings auch oft in eine Richtung geführt, die Spaltungen brachten, statt zur Versöhnung beizutragen.
Gerade hier sehe ich einen wichtigen christlichen Beitrag, denn die christliche Botschaft mahnt zur Nächstenliebe und auch zu Vergebung und Geduld. Ich glaube, dass wir so im Umgang miteinander eine Balance zwischen Gerechtigkeit und Barmherzigkeit finden. Polarisierungen und ideologische Gräben lassen sich nur so überwinden, wenn wir dem anderen nämlich mit Respekt begegnen – selbst, wenn wir seine Meinung nicht teilen.
Der christliche Glaube ruft dazu auf, die Wahrheit zu suchen und sie auszusprechen – dies allerdings immer in Liebe und Zuneigung. Wahrheiten, die verletzen und ausgrenzen, führen uns von diesem Weg ab! Deshalb ist es wichtig, dass wir über Differenzen hinweg Brücken bauen – im Sinn eines friedlichen und respektvollen Miteinanders.
Ein Weg nach vorne
Die Woke-Bewegung war für mich wie eine große Welle, die vieles aufwühlte. Nun ebbt sie ab, und wir stehen vor der Aufgabe, die Trümmer zu sichten und neu zu bauen. Dabei sollten wir aus den Fehlern lernen, aber auch die positiven Impulse bewahren.
Vielleicht liegt die Antwort in einem gesunden Konservatismus: Einer Haltung, die bewährte Werte schützt, aber offen bleibt für notwendige Veränderungen. Ein Konservatismus, der nicht von Angst getrieben ist, sondern von Zuversicht. Ein Konservatismus, der den Menschen im Blick behält.
Lassen wir uns also nicht von Extrempositionen treiben. Gehen wir aufeinander zu, hören wir einander zu, und bauen wir gemeinsam eine Gesellschaft, die frei, gerecht und menschlich ist. Das wäre für mich ein wahrhaft „aufgewecktes“ Ziel.