Du bist ganz schön konservativ.
„Deine Ansichten sind aber ganz schön konservativ!“ oder „Du bist aber konservativ!“, diese und ähnliche Sätze höre ich in verschiedenen Zusammenhängen immer wieder. Mir fällt dabei auf, dass eine Person, der das gesagt wird, mit einem Etikett versehen wird. Sie wird einem bestimmten Bereich zugeordnet. Nicht unbedingt durch sich selbst, sonders vor allem durch andere geschieht das und – auch das beobachte ich – damit ist auch eine gewisse Herablassung verbunden. Einer Person wird damit gesagt, dass sie sich nicht ändern kann, dass sie am Alten festhält und wohl auch nicht in der Lage ist, den Bedarf an Fortschritt wahrzunehmen. Aber: Ist das so? Vor allem so pauschal?
Klar ist, dass der Inhalt des Begriffes auf das Erhalten oder Bewahren von etwas Vorhandenem ausgelegt ist, dies meint der lateinische Begriff conservare. Interessant dabei ist der Gedanke, dass in dem, was wir vorfinden, etwas Erhaltenswertes gefunden werden kann. Dies setzt allerdings auch voraus, dass es sich bewährt hat. Auch dies ist meines Erachtens ein Gedanke, der zum Inhalt des Begriffes gehört. Nicht das konsequente, vielleicht sogar radikale Festhalten allein ist Teil des Konservativen. Dazu kommt, ja muss kommen – quasi als andere Seite der gleichen Medaille – dass sich das Vorhandene immer auch zu bewähren hat. Ansonsten verliert es seine Daseinsberechtigung. Das Vorhandene soll einen Nutzen erbringen, dieser soll möglichst hoch sein, ansonsten wird es nicht gebraucht. Der Konservative will dann allerdings das Veränderungsbedürftige nicht einfach abschaffen, sondern vielmehr anpassen. Die Anpassung erfolgt dann wieder in einem konservativen Bewusstsein, in dem nicht einfach abgeschafft und ersetzt wird, sondern vielmehr der Teil erhalten bleibt, der es wert ist, erhalten zu bleiben. Dies halte ich für einen wesentlichen Teil der Überlegungen! Er verändert also nicht radikal, allerdings schon – wenn es sein muss – konsequent und auf eine eher zurückhaltende Art, die durchaus auch langsam sein kann.
Konservativ sein heißt nicht automatisch Festhalten am Alten
Klarmachen möchte ich, dass es dem Konservativen nicht um ein stures Festhalten am Alten geht. Vielmehr geht es um ein ständiges Überprüfen des Vorhandenen. Dies halte ich für einen grundsätzlich anspruchsvollen Vorgang und enorm wichtig, da es auch immer um ein hohes Maß an Qualität in der Sache gehen soll. Immer wieder schauen, ob etwas funktioniert, ob ein Nutzen vorhanden ist, es dem Wohl dient, Werte damit verbunden sind ist oder ähnliches, braucht Zeit und Sachkenntnis, Gelassenheit und Gespür für das hoffentlich Richtige in den jeweiligen Umständen.
Wenn sich dann die Erkenntnis durchsetzt, dass etwas so, wie es bisher war, nicht fortgesetzt werden kann, dann steht das Konservative auch für Veränderung. Dies allerdings eher mit einem Sinn für das erhaltenswert Bewährte und nicht für den radikalen Schnitt. Der Teil eines Ganzen, der sich nicht bewährt hat, soll – ja muss – verändert werden, anderes nicht, zumindest noch nicht. Insofern sind im Konservativen auch immer die Veränderung und die Kraft zur Veränderung eingepreist, dies allerdings eher in sich entwickelnden Vorgängen.
Mit diesen Gedanken möchte ich in zwei Richtungen wirken. Zum einen dahin, auf das Bewährte zu achten, es zu schätzen, allerdings auch es permanent zu überprüfen – sowohl kritisch als auch wohlwollend – und es nicht zu rasch verändern zu wollen, um des Veränderns willen und es Fortschritt zu nennen, ohne auch einen Blick auf die Bewährung, die Zeit braucht, zu richten. Zum anderen dahin, dass ein zu starres Festhalten an dem, was seine Berechtigung verloren hat, eben auch keinen Nutzen bringt, ja sogar Schaden anrichten kann. Und genau darum soll es in den vielen Bereichen, in den wir leben gehen, eben einen Nutzen zu schaffen oder etwas Nutzbringendes zu erhalten und Schaden zu vermeiden beziehungsweise das Schädliche fernzuhalten.
Vielleicht helfen diese Gedanken, die eigenen Überlegungen und dann auch das eigene Vorgehen und Handeln in den Blick zu nehmen. Wir alle haben in unserem Umfeld Bewährtes und Veränderungsbedürftiges. Meiner Meinung nach gibt es im Alten viel Bewährtes, das geschätzt werden kann. Und ich denke auch, dass mit dem Begriff konservativ im oben beschriebenen Sinn wohlwollender umgegangen werden sollte. Für Etiketten taugt er nicht! Nach meinem Empfingen steht er eher für reflektierte Offenheit.